Nachdem wir daran gescheitert waren, unsere Identität nachzuweisen, entschlossen wir uns zur Flucht. Um zu verstehen, was mit uns geschah, wünschten wir uns, mit jemandem zu sprechen, der ausgiebig über diese Fragen nachgedacht hat.
Professor Andreas Cassee ist diese Person. Niemand hat ein stärkeres Argument dafür entwickelt, Menschen nicht mehr über nationalstaatliche Grenzen auszuschließen. Niemand hat schönere Begründungen dafür geliefert, globale Bewegungsfreiheit einzuführen; denn wer weiß, in welchem so genannten Land sich die Person befindet, die wir zu lieben bestimmt sind?
Außerdem sieht Professor Cassee auch sehr klar, welche quasi-feudalen Strukturen entstehen, wenn der wichtigste Verdienst eines Menschen darin besteht, von Geburt an dem richtigen Nationalstaat anzugehören. Wir mussten also Andreas Cassee besuchen.
Andreas Cassee ist einer von diesen Leuten, die das Selbstverständliche sagen, das so schockierend ist. Manche einfache Wahrheiten werden selten ausgesprochen, und an ihre Stelle treten entlegene, unbedeutende Details, über die sich trefflich streiten lässt, was zu rein gar nichts führt. Daß Menschen heute hungern, Schlachttiere Empfindungen haben, Öl, Erdgas und Kohle in der Erde bleiben müssen, all das sprechen wir kaum aus und schämen uns für diese Wahrheit, wenn wir sie aussprechen, weil wir die Unverschämtheit begehen, die ungeschriebene Regel zu verletzen: darüber sprechen wir nicht.
Wir sind der Adel. Der Adel gehört abgeschafft.
Mir gefällt die Poetik dieser Flucht. Die beiden wollen nicht vor der Auseinandersetzung fliehen. Vielmehr treten Sie einen Schritt zurück, um das Terrain für den Kampf selbst zu bestimmen.
Sie verabschieden sich zunächst, so wie Edward Snowden aus seiner Verortung ausgebrochen ist. Oder Greta Thunberg, die erst die regulären politischen Wege verlassen hat, um schließlich von einem ganz neuen Punkt aus wieder teilzunehmen.
Flüchten bedeutet zuerst, das Gesetz nicht als verpflichtend anzuerkennen, sondern ein anderes Gesetz zu suchen. Immerhin werden sie für Tatsachen verantwortlich gemacht, für die sie keinerlei Verantwortung tragen.
Wie könnte der Zufall, der sie an diesen Ort verschlagen hat, sie zu etwas verpflichten?
Das gilt für alle von uns.